Ladies Firrst: Mehr Frauen als Unternehmensgründerinnen

Ladies First.

Mehr Frauen als Unternehmensgründerinnen, so will es der Bund.
Beispiel: die Berliner Start-up-Szene.

Den Online-Bestellservice für Männerbekleidung Outfittery findet man in einem Gebäudekomplex mit Hinterhöfen, wie er für Berlin typisch ist. In einer ehemaligen Nähfabrik, verteilt auf zwei Etagen beraten Fachfrauen die Kundschaft am Telefon und stimmen das Outfit – Hosen, Oberteile und Schuhe – auf deren Vorlieben ab. Vor zwei Jahren wurde Outfittery von Anna Alex und Julia Bösch gegründet. Mittlerweile beschäftigen sie 150 Mitarbeiter und der Umsatz beläuft sich auf knapp sieben Millionen Euro.
Die Firmengründerinnen zählen allerdings zu einer Minderheit: im vergangenen Jahr waren gerade mal 13% aller Gründer weiblich, so eine Studie des Bundesverbandes Deutsche Start-ups.

Bislang ein kleiner Kreis, der aber mehr und mehr von sich reden macht und in der Gemeinschaft an Stärke gewinnt. Durch Aktionen und einem Netzwerk, in dem jede von der Erfahrung der anderen profitiert. Denn die prominenten Frontfrauen in der Politik, Finanzwelt und Wissenschaft „sind schlicht zu weit weg“, so Anna Alex „Frauen benötigen Vorbilder, die anfassbar sind!“

Die zunehmende Präsenz der Frauen in der Führungsetage macht anderen Mut. Am Ende zählt jedoch das unternehmerische Auftreten und nicht das Geschlecht: „Im Alltag mache ich mir über mein Frausein wenig Gedanken“, stellt Julia Bösch fest.

Verena Delius leitet seit 2010 den Internet-Spielehersteller Goodbeans im Prenzlauer Berg. Die 35-jährige Mutter zweier Kinder gründete im vergangenen Jahr gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner Moritz Hohl den Anbieter von Spiele-Apps für Kinder, Fox & Sheep.
Zudem organisiert Delius Events wie „Ladies Dinner“, um unternehmerische Frauen zusammen zu bringen. Seither treffen sich jeweils 40 Frauen einmal im viertel Jahr zum Informationsaustausch durch Kurzvorträge und Diskussionsrunden. „Da entsteht gerade ein echtes Netzwerk“, sagt Delius. „Und es widerlegt das Klischee, Frauen könnten nicht netzwerken, würden untereinander nur Zickenkrieg führen oder bloß über Babys und Windeln sprechen.“

An den sechs Veranstaltungen haben sich seither schon 80 Frauen beteiligt. „Und es werden immer mehr“, stellt Delius fest. „Daher glaube ich auch, sagen zu können, dass der Anteil von Gründerinnen in der Berliner Szene gerade überproportional wächst.“

Unternehmerin und Mutter bleibt eine Herausforderung

„Ich rede offen darüber, auch über die Probleme – und kann dadurch anderen Frauen Mut machen“, sagt Delius. „Ich hätte es jedenfalls bestimmt leichter gehabt, wenn ich im Alter von 25 mehr derartige Vorbilder gehabt hätte.“

Corinna Powalla, 32, leitet den Aufbau des Start-ups Modomoto, gerade mal um die Ecke der Konkurrenz von Outfittery und findet Netzwerke gut und wichtig – hat aber kaum Zeit dafür. Auch Modomoto zieht Männer an. Im Unterschied zu Outfittery kümmert sich Modomoto aber größtenteils selbst um das Versandgeschäft. Der Kunde kann sich über die persönliche Betreuung freuen – jedem Paket liegt ein handgeschriebenes Kärtchen bei, auf dem die Stilberaterin die Auswahl des Outfits kommentiert.

Beratung im Internet funktioniert: mittlerweile bestellen 150 000 Kunden aus Deutschland und Österreich bei dem 2011 gegründeten Unternehmen.

Powalla erklärt, woran es ihrer Meinung nach liegt, dass es so wenig Frauen in der deutschen Start-up-Szene gibt: „Die Veränderungen müssen schon in der Erziehung beginnen, um Mädchen zu mehr Selbstständigkeit zu ermutigen“. Auch fehlt im Studium, insbesondere dem der Betriebswirtschaftslehre, der visionäre Blick: „Da wird immer nur vom Angestelltendasein gesprochen, fast nie über die Gründung von Unternehmen – obwohl das in der Betriebswirtschaft ja naheliegt.“

Ein „Urgestein“ der Berliner Start-up-Szene ist Claudia Helming. Schon 2006 trat die 40-jährige mit Dawanda auf, einem Internet-Portal für Selbstgemachtes wie Spielzeug, Kleidung oder Accessoires.
Das Firmenentreé kommt gediegen daher: in dem Dachgeschoss in Charlottenburg empfängt einen ein rotes Chesterfield auf edlem Parkett.

Außerhalb der üblichen Bereiche wie z.B. Kleidung, Kosmetik, Schmuck sind Frauen nach wie vor in der Minderheit. „Auch wenn das nach Klischee klingt: Viele Frauen betrachten ihre Kenntnisse gerade in Gebieten wie IT und Technik als Hemmschwelle“, sagt Helming. Daher gründen Frauen eher Unternehmen in solchen Bereichen, in denen sie sich zu Hause fühlten. „Und bei Produkten, zu denen sie eine emotionale Bindung haben“. DaWanda ist das beste Beispiel: 70% der 160 Mitarbeiter sind Frauen. Die Online-Plattform zählt vier Mio. Mitglieder und 250 000 Shops – auch hier stellen die Mädels die Mehrheit. „Unsere Produkte sprechen Frauen besonders an, das haben wir bei der Gründung antizipiert“, sagt Helming.

Das Angebot der Firma Amorelie spricht ebenfalls besonders Frauen an. Chefin Lea-Sophie Cramer bringt nicht nur an zwei Tagen pro Woche die 40 Mitarbeiter durch Wake-up-Dance in Fahrt, sondern versetzt auch die Kundschaft mit sinnlichen Erotikartikeln per Online-Versand in Schwingung. Lust- und umsatzsteigernd bewegt sich das Unternehmen dieses Jahr auf eine achtstellige Summe zu.
Die Quote steigt. „Ich glaube, wir werden beim Frauenanteil in den kommenden Jahren eine starke Veränderung nach oben sehen“, kommentiert die 27-jährige Amorelie-Chefin die Veränderungen in der Berliner Gründerszene. „Das bisherige Ungleichgewicht sorgt dafür, dass sich Frauen untereinander intensiver helfen, da nehme ich mich nicht aus. Wichtiger Nebeneffekt: Das Zerrbild der Stutenbissigkeit kommt so aus den Köpfen.“

Philippa Pauen gehört offiziell nicht mehr zur Berliner Szene. Die Geschäftsführung ihres Unternehmens Wummelkiste hat sie Ende Juli an den Marketing-Chef Gordon Thompson übergeben und sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen.

Tatsächlich bleibt Pauen der Berliner Internet-Gemeinde trotzdem erhalten, aber nicht mehr im Cyber-Getümmel. „Ich möchte wieder mehr strategisch und analytisch arbeiten“, so die Unternehmerin.

Pauens start-up heißt Wummelkiste und das spiegelt sich auch in der Handhabe. Zwischen den Stadtteilen Mitte und Kreuzberg positioniert, verschickt Wummelkiste per Internet-Abo verschiedene Bastelarrangements für Drei-bisAchtjährige. Entsprechend „wummelt“ es in der Versandabteilung. „Wir haben die Räumlichkeiten bewusst so gewählt“, sagt Wummelkiste-Gründerin Philippa Pauen. „Denn so können wir etwa unseren Geschäftspartnern ein konkretes Produkt zeigen, das macht’s einfacher.“

Selbst sehr erfolgreich, erstaunt es die 31-Jährige die Gründerin nicht, dass der Frauenanteil auf Führungsebene gering ist. „Tendenziell ist das Sicherheitsbewusstsein bei Frauen etwas ausgeprägter“, sagt Pauen. „Dabei ist vielen nicht bewusst: Trotz des mit einer Gründung verbundenen Drucks kann man in einem Start-up den Tagesrhythmus besser einteilen und so Freiräume schaffen als in einem Konzern.“Und sich wieder neuen Projekten zuwenden.