Inges Dinge - Sautreiber

Sautreiber

In den ersten zehn Jahren des neuen Jahrtausend konnte man ohne Himalayasalz kein gesundes und erfülltes Leben führen. Ganze Läden damit schossen aus dem Boden. Und wenn noch Platz war wurde der mit Traumfängern aufgefüllt.

Im Sportgeschäft – das ist noch nicht so lange her – wollte die flotte junge Dame im Funktions-shirt mir ein Energieband andrehen. Das gab mir doch kurz zu denken – offensichtlich sehe ich energiebedürftig aus. Im Internetshop mit dem Namen aus Tausendundeinernacht  gibt’s die Dinger erst ab 100 Stück. Soviel Energie bringt einen ja um.

Die Quinoa-Samen von heute hießen in den 70ern, als mein Vater (unfreiwillig) auf seinem ersten Gesundheitstrip geschickt wurde, Leinsamen. Morgens einen Esslöffel ins Jogurt – und du fühlst dich wie neugeboren.
Er und seine Zeitgeist-Genossen verließen das Haus nicht, bevor sie mit verzerrtem Gesicht ein Glas frisch gepressten Grapefruitsaft auf Ex leerten. Heute findet man kaum noch Grapefruitsaft in den Läden und wenn, ist er entschärft (für Warmduscher).

Sogar ein gutbürgerliches, spießiges Versandhaus warb vor Jahren in einem Spezialheft u. a. für Glasprismen, die negative Energien bündeln sollten. Damals hab ich mich gefragt, wieviel man wohl davon braucht – in einem 4köpfigen Haushalt. In jedem Raum eins, oder pro Nase/pro Raum. Kann man auch zu viel davon aufhängen? Bekommt man dann dafür eine Überdosis „positive energy“?  Betrifft es auch Haustiere?

Als vor Jahren Armbänder für Reichtum, Gesundheit, Gelassenheit, etc. die Runde machten, wollte sich meine Schwester von der Sorte „Reichtum“ gleich fünf auf einmal anschaffen. Damit auch richtig was rüberkommt.

Meine Mutter überlebte die 70er nur, weil sie täglich Midro-Tee zu sich nahm. In den 80ern ging´s dann plötzlich wieder ohne.

Mein nüchterner Schwiegervater, ein durchgefärbter Skeptiker und allem Neuen gegenüber geradezu feindlich eingestellt, überraschte mich eines Tages mit einem Wundersaft aus der Kühlschranktür. Die Flasche zu 50 Euro. Ein Jungbrunnen. Ich müsste nur ein Glas pro Tag am Morgen einnehmen.

Das gab`s ja auch schon in jeder Dekade. Mother´s little helper. Da hieß das Zeug dann Doppelherz, Galama, Klosterfraumelissengeist (bei uns in der Ecke tut´s der Obstler).

In meinem Freundeskreis lebten auch schon Pilze als Haustiere. Sie hatten altmodische Männernamen und versprachen das ewige Leben. Entweder man trank ihren Auswurf  oder verbackte sie in Brotlaibe. Oder beides. Das weiß ich jetzt nicht mehr so genau. Ach ja, und gefüttert werden mussten sie auch. So ne Art Öko-Tamagotchi. Mittlerweile sind die Freunde wieder bei der gemeinen Hauskatze angelangt.

Aseawasser, Nonisaft, Pendel, Handy-Horoskop, Himalayasalz, Traumfänger, Quinoa ….was auch immer. Wer weiß schon sicher, ob´s hilft. Interessant dabei ist nur, dass es vorher ohne ging und hinterher auch wieder ohne geht, wenn die spontanen Glaubensschübe verebben.

Und ist die eine Sau durchs Dorf, gibt´s eine neue.