Eine der interessantesten Rubriken im gedruckten „Spiegel“ ist für mich seit jeher „Leserbriefe“ – die bedächtige Vorgängerin der Internet-Foren. Neben genialen Denkanstößen, die das ganze Problem in zwei bis drei Sätze destillieren, gibt es immer auch ganz viel Haarspalterei, Besserwissertum, Eitelkeiten, missionarischen Eifer und fundamentalistische Orthografien – herrlich! Da gibt man sich noch richtig Mühe.
In einer der letzten Ausgaben waren sie Titelgeschichte, die Helikopter-Eltern. Hatte mich schon auf die Leserbriefe gefreut. Immerhin gab es dann auch den ein oder anderen, der sich dabei geoutet hat.
Normalerweise war’s nämlich wieder keiner. Also im persönlichen Gespräch jedenfalls. Denn niemand gibt zu, seine Kids ins Karrierekorsett zu zwängen. Es sind immer die andern (die gerade abwesend sind).
In jeder guten Bäckerei liegt ein Stapel Blödzeitung auf dem Tresen. Ich kenne niemanden, der zugibt, sie zu lesen. Im 2. Quartal 2015 wurden aber laut Statistik 2,2 Millionen verkauft (wahrscheinlich an Fischhändler). Und von der BamS gab’s mehr Exemplare als vom „Spiegel“.
Von den bunten Hollywood-Geld-Adel-Heftchen gar nicht zu reden.
Laut Milchindustrieverband werden in Deutschland jährlich 11,5 kg pro Kopf Joghurt mit Zusätzen verkauft. Nacht für Nacht werden in den 55 000 Läden des Einzelhandels die Regale damit wieder aufgefüllt (Erdbeere, Himbeere, Heidelbeere). Ich kenne niemanden, der Fruchtjoghurt isst – abgesehen vom Pubi. Alle anderen essen Naturjoghurt. Höchstens vielleicht mit einem kleinen Löffelchen Marmelade.
Wenn man sich so umhört, sieht auch niemand fern. Und wenn, dann ganz selten. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es sich bei der auflagenstärksten Zeitschrift in Deutschland um ein Fernsehprogrammheft handelt. Und nicht zu vergessen, Leute wie der Heimwerker zappen ohne vorher zu lesen. Und diese blöden Satelliten-Sender mit ihren ewigen Werbeblocks werden sowieso boykottiert. Dabei liegt der Marktanteil von RTL auf gleicher Höhe wie der von ARD und ZDF.
Dass die Jungs im Playboy nur die inhaltlich wertvollen Artikel lesen ist ein alter Hut. Die aufwändigen Fotostrecken könnten sich die Macher eigentlich sparen. Guckt eh keiner.
